Jeder Autofahrer kennt die Situation: Man fährt im Dunkeln, vielleicht bei Regen, sieht einen leuchtenden, wackelnden Weihnachtsbaum am Straßenrand. Ungefähr 1m hoch, komische Bewegungsabläufe. Man nähert sich und stellt fest: Ooooops, ein Kind. Puuuh, zum Glück hat es Reflexionselemente in der Kleidung (genauer: retroreflektierende Stoffe).
Man nähert sich weiter und erschrickt, denn das Kind läuft an der Hand eines Erwachsenen, den man aber überhaupt nicht wahrgenommen hat.
Ab einem gewissen Alter (=Kleidungsgröße) ist die textilverarbeitende Industrie offensichtlich nicht mehr so motiviert, reflektierende Stoffe oder Nähte zu verwenden.
Ganz bittere Situation – für alle Seiten. Der Mann, der den kleinen Jungen angefahren hat, wird auch des Lebens nicht mehr froh. Von der Familie des erfassten 11-jährigen ganz zu schweigen. Jede einzelne dieser Geschichten gilt es zu verhindern. Daran arbeiten die Automobilhersteller jeden Tag! Fahrerassistenzsysteme, Notbremsassistenten, Umfeldsensorik und Co. sind teilweise schon verfügbar, können aber nicht hexen.
Kleinster Aufwand: Klackband
Die einfachste Variante, zu der auch ich greife, sind Klackbänder, die man einfach um’s Bein schnappt:
Sieht nicht schön aus, hilft aber dem Autofahrer enorm einen wahrzunehmen, denn die Beine sind der tiefste Punkt und somit zuerst vom Scheinwerfer erfasst. Fährt man Fahrrad, so ist die “auf/ab” Bewegung charakteristisch und hilft dem Autofahrer eine bessere Situationsanalyse vorzunehmen.
So stellte das Transportation Research Institute der Universität Michigan fest, dass mit Hand- und Knöchelarmbändern die Wahrnehmungsentfernung von 40m auf 156m steigt.
Wahrnehmungsentfernung steigt um +290%
Wahrnehmungssteigerung durch charakteristische Bewegung
Ein wichtiger Punkt ist dabei, dass die Wahrnehmung enorm steigt, wenn der Mensch eine menschliche Bewegung erkennt. Das heißt: Sind typische Bewegungsmuster (Beinbewegung, Armschlenkern, Kopf, Beine, etc.) erkennbar, kann der Mensch die Situation wesentlich besser wahrnehmen.
So stellte Tyrrell, Wood, Chaparro et. al. in “Seeing pedestrians at night : visual clutter does not mask biological motion” fest, dass sogar in funkelnder, leuchtender Umgebung der Mensch eine menschliche Bewegung zu 100% erkennen kann, wenn die richtigen Punkte reflektieren.
Die naheliegende Konsequenz aus diesen Erkenntnissen wäre doch eigentlich, dass in Herbst- und Wintermode einfach an bestimmten Stellen retroreflektierende Materialien eingebracht werden.
Retroreflektierendes Material für Kleidung
Das Material ist in allen Farben und Formen erhältlich und lässt sich in Kleidung integrieren. Im einfachsten Fall wird nur eine Naht mit retroreflektierendem Garn ausgeführt.
Am Tage überhaupt nicht wahrnehmbar, in der Nacht wird die Kleidung zum potentiellen Lebensretter. Die Farbe kann an bestehende Kleidung angepasst werden, sodass rein modemäßig überhaupt keine Einschränkung dadurch entsteht.
Vorteil für Fahrerassistenzsysteme
Die aktuelle Entwicklung bei der Umfeldsensorik geht vor allem zu Radar sowie (Stereo-)Video. Daimler nennt es beispielsweise 6D-Ansatz:
Hier liegt der Knackpunkt: Ein Radar kann Fußgänger bzw. Radfahrer nicht wahrnehmen, das Auto muss sich auf die Videosensorik verlassen. Im Dunkeln kann auch die beste Kamera keinen dunkel gekleideten Menschen sehen, somit kann auch kein 6D-Ansatz (6 Dimensionen, weil Daimler die 3 Raumkoordinaten X, Y und Z sowie noch die 3 Geschwindigkeiten in die Raumrichtungen als Zustandsvektor für Objekte im Sichtfeld berechnet) helfen.
Die physikalische Eigenschaft der retroreflektierenden Materialien ist, dass sie genau in die Richtung das Licht zurück senden, aus der sie angestrahlt werden. Das stellt sicher, dass nicht alle Menschen rumlaufen wie mobile Straßenlaternen, sondern nur der etwas wahrnimmt, der auch aktiv anleuchtet.
Die Videosensorik muss nun im Dunkeln alle Lichtquellen irgendwie auseinander halten (parkende, wegfahrende & entgegenkommende Autos, Laternen, Reklame usw.). Hier hilft aber die physikalische Eigenschaft der retroreflektierenden Folien abermals:
Da den Fahrzeugherstellern die Lichttemperatur ihrer LED/Xenon Scheinwerfer bekannt ist, kann z.B. über den HSV Farbraum algorithmisch relativ einfach nach diesen Farbtemperaturen im Videobild gesucht werden. Wird eine menschenähnliche Form oder Bewegung erkannt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass da tatsächlich ein Mensch ist, vor dem es auszuweichen bzw. abzubremsen gilt.
Fusion mit Infrarot
Es besteht natürlich auch die Möglichkeit dieses Ergebnis mit Messungen aus den Infrarotkameras (oder auch Nachtsichtkameras genannt) zu fusionieren, um bessere Ergebnisse zu erzielen, wie Han und Bhanu in “Fusion of color and infrared video for moving human detection” zeigen.
Plädoyer
Die EU regelt die Leistung von Staubsaugern, sie regelt zu verwendende Glühbirnen, sie regelt Abgasgrenzwerte, da könnte man doch mal die Frage stellen, ob es nicht für die Textilindustrie ein paar Vorgaben geben könnte Herbst- & Wintermode entsprechend sicherheitsrelevant herzustellen. Die Menschen haben auch das Rauchverbot in Kneipen/Diskos akzeptiert, ich denke jetzt im Nachhinein sind nur einige wenige wirklich böse darüber. Ähnlich könnte es auch mit Reflektionsmaterialien in der Kleidung funktionieren.
Ein anderer Ansatz wäre über die Freiwilligkeit bzw. die Einsicht jedes Einzelnen, aber das dauert eben. Fahrradhelme werden auch langsam in der Breite akzeptiert, vielleicht folgt auch das reflektierende Material bald.
One Comment
Leider wird bis heute immer noch am falschen ende gespart, es gibt in den neuen Autos soviel auf dem man besser verzichten könnten aber an den wichtigsten Sachen da wird immer noch gespart.