Das Trendwort dieser Tage. Kein Tag vergeht, ohne Weltuntergangsmeldungen zum Fachkräftemangel. Ich wehre mich vehemend gegen die Thesen, die dort propagiert werden. Natürlich habe ich als normaler Bürger nicht den Weitblick wie ein Politiker oder ein Geschäftsführer bzw. Human Resource Typ. Dennoch kann ich zumindest Gegenthesen äußern, welche aus meiner Sicht mindestens genauso einleuchtend sind.
Besonders irreführend ist die Berichterstattung bei der Fachkräftegruppe der Ingenieure. So bringt der VDI (Verein Deutscher Ingenieure) einen Bericht heraus, in welchem ganz klar auf die drohende Lücke verwiesen wird. Schaut man sich den Bericht an, so ist dort auf S.13 ersichtlich, dass über 1/5 aller Ingenieure, welche in Teilzeit arbeiten, in die Rubrik “Vollzeittätigkeit nicht zu finden”, einzuordnen sind. Das beinhaltet nicht “Vollzeittätigkeit nicht angestrebt”, welche extra ausgewiesen ist.
Soll heißen: Über 20% aller Ingenieure, welche in Teilzeit arbeiten, finden keine Vollzeitbeschäftigung, obwohl sie gewillt sind. Hinzu kommen die über 24.000 Ingenieure, welche arbeitssuchend gemeldet sind. Eine andere Möglichkeit nicht am Arbeitsmarkt teilzunehmen zu dürfen, formuliert Bernd Scheunert in einem Leserbrief: Ingenieure zum Schnäppchenpreis.
Natürlich muss auch gesagt werden, dass man durchaus am Bedarf vorbei studieren kann. Dennoch zeichnet den Ingenieurberuf aus, dass man eine gewisse grundsätzliche Vorstellung von naturwissenschaftlichen, technischen Zusammenhängen gelehrt bekommt und diese dann allgemeingültig auf artfremde Problemstellungen anwenden kann.
Nein, ich denke der Wind weht aus einer anderen Richtung:
These zum proklamierten Fachkräftemangel
Ausgangslage: Wir haben in Deutschland 3M+ Arbeitslose, darunter auch Fachkräfte, die aber für die Unternehmen zu teuer erscheinen. Unternehmen melden der Regierung dann, sie würden keinen finden (Nichtbesetzung von Stellen) – kann man ja kaschieren, indem utopische Qualifikationen zu geringen Gehältern gefordert werden – und die Regierung proklamiert den Fachkräftemangel.
Folgen: Im Sinne der Regierung und der Unternehmen erfolgt nun durch Senkung des Einstiegsgehalt durch ausl. Fachkräfte ein Lohndumping. Personalkosten werden somit gesenkt und die Gewinnmarge steigt an (man kann Kosten nur durch Personal- oder Sachkosten drücken). Unternehmen mit höheren Gewinnen zahlen aus Staatssicht höher Steuerabgaben. Aus Unternehmenssicht wird das Business attraktiverer, da mehr Wert. Unternehmen werden jedoch trotzdem versuchen, die Steuerlast zu senken.
Und wenn die Fachkräfte aus dem Ausland dann merken, dass sie viel(!) zu wenig verdienen, hauen sie wieder ab und das Problem bleibt bzw. steigt tendenziell an, da im gleichen Zeitraum, mehr und mehr deutsche hochqualifizierte Fachkräfte nicht in Arbeit kommen. Dann sitzt am Ende der Staat, also wir auf den Bildungskosten für inl. Fachkräfte und auf den Sozialkosten für Arbeitslosigkeit sitzen und haben gleichzeitig immer noch ein Fachkräftemangel!Zitat von Peter Geißler
Woher kommt die Zahl, welche als Fachkräftelücke bezeichnet wird?
Die Zeit Redakteurin Tina Groll hat in ihrem Artikel “Experten sehen keinen Mangel an Ingenieuren” recherchiert und festgehalten, woher die Zahl kommt:
Der Verein stützt sich bei seiner Berechnung auf eine Umfrage aus dem Jahr 2009. Demnach wird lediglich jede siebte Ingenieursstelle bei der Bundesagentur gemeldet. Deshalb multipliziert der Verein diese Zahl mit dem Faktor Sieben. Dieser Zahl wird dann die Anzahl der arbeitslos gemeldeten Ingenieure gegenübergestellt – derzeit sind das 18.882 Personen. So kommt der VDI auf die Lücke von 87.000 Fachkräften.
Der Fachkräftemangel ist also ein statistisches Konstrukt.
Es ist ziemlich leicht zu kritisieren, wenn man selbst keine besseren Vorschläge hat. Die habe ich aber:
Falls es wirklich eine Fachkräftelücke geben sollte
Ich denke, wenn es wirklich eine Fachkräftelücke geben sollte, so müsste ganz zeitig angesetzt werden, diese zu bekämpfen. Kinder müssten auf Erwachsene (z.B. ihre Eltern) schauen und sehen, dass der Beruf des Ingenieurs erstrebenswert ist. Eine interessante Arbeit, guter Verdienst, Sicherheit. Es geht darum die Kleinsten für den Beruf zu interessieren, sodass sie mit ihrem Abitur nicht Straßenkehrer oder Friseurin werden, sondern versuchen den höchstmöglichen Bildungsgrad zu erreichen.
Falls es keine reale Fachkräftelücke gibt
Dann verstehe ich den VDI nicht, weshalb er diesen Zirkus mit propagiert und damit langfristig das Lohnniveau und die Festanstellung gefährdet.
Update, 14.11.2010
Offenbar sieht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Situation ähnlich: Wirtschaftsinstitut sieht keine Anzeichen für Fachkräftemangel. Hier der Spiegel Artikel. Zusätzlich ein Interview.
Update, 17.11.2010
Das Hauptargument des DIW von Klaus Brenke gegen die Fachkräftelücke ist, dass es keine überdurchschnittliche Lohnsteigerung zu beobachten gibt. Man sollte ja keine Vermutungen anstellen, aber mir kam es irgendwie merkwürdig vor, dass viele Konzerne Lohnerhöhungen vorziehen. Konjunkturprämie oder Grundlage für die folgenden politischen Argumentationskette: “Wir haben die Löhne massiv anheben müssen…”?
Wer Schach spielt, sieht hier einen Zusammenhang.
Fazit
Es kann nicht besser zusammengefasst werden, als im Kommentar von Bernd Roling vom SWR: Fachkräftemangel – Eine Frage des Gehalts!
7 Comments
Gut analysiert. Kenne die Lage aus 1. Hand. Bin noch alter FH- Diplomer im allgemeinen Maschinenbau mit Note 2,1 und Diplomarbeit von 1,0. War seit Oktober 2008 über 18 Monate in Hartz IV, bis ich eine Ausbildung zum Lokführer bei der DB bekam. Es gibt keinen Fachkräftemangel, es gibt einen Mangel an hochqualifizierten, pflegeleichten Niedriglöhnern – auf Zeitarbeitbasis, versteht sich.
Kenne etliche Ingenieure, die selbst mit sehr guten Leistungen seit 2006 nur in Zeitarbeit aka Ingenierdienstleister beschäftigt sind und immer wieder den Einstieg als Festangestellter versuchen – vergeblich.
Der Fachkräftemangel ist das größte Märchen, einzuordnen wie der Endsieg ist nah, keiner hat die Absicht eine Mauer zu bauen und die Renten sind sicher. Besonders im Maschinenbau wird mit allen fiesen Tricks gekämpft und gelogen, dass sich die Balken biegen – Resultat der Überkapazitäten und des brutalen (globalen) Konkurrenzkampfes.
Woher kommen die angeblich zehntausende offenen Ingenieurstellen bzw. die Lücke von Ingenieuren , die Herr Brüderle und Co. in allen Interviews und Reden nennen?
Schaut man sich den VDI Ingenieurmonitor September 2010 in Zusammenarbeit mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln genauer an, stellt man einen erheblichen Rechenfehler fest.
Aus “Der Arbeitsmarkt für Ingenieure im September 2010” Seite 4.
“Wie eine Unternehmensbefragung aus dem Jahr
2009 belegt, meldeten deutsche Unternehmen
nur etwa jede siebte Stelle für Ingenieure bei der BA (Erdmann/ Koppel, 2009). Zur Korrektur der daraus folgenden Untererfassung der offenen Ingenieurstellen bei der BA werden diese mit der Meldequote von 14,4 Prozent hochgerechnet.”
Das heisst, die Anzahl der offenen Stellen der Agentur für Arbeit (AfA) =14,4% wird auf 100% hochgerechnet.
Dummerweise bestehen die bei der AfA offenen Ingenieurstellen zu 90% aus Zeitarbeit, Dienstleistern und privaten Arbeitsvermittlern.
Wer sich häufiger mit diesen AfA-Stellen beschäftig, setllt fest, das viele Stellen mehrfach ausgeschrieben werden.
Eine Firma sucht und 2,3,4 und mehr Dienstleister suchen dann für diese eine Firma den passenden Mann / Frau.
So wird aus eine Stelle, statistisch 2,3,4 (14,4%) schnell 14,21,28,35 etc. Stellen.
Solche Zahlen sind natürlich eine gute Grundlage, um die Zuwanderung von preiswerten Fachkräften aus dem Ausland zu fördern und falls man dagegen ist, die Türen für eine tarifvertragliche 48h/Woche öffnet.
Das einzige, was mich an einen kleinen Mangel an Fachkräfte glauben lässt, ist der steigende Anteil von “normalen” Firmen in den Stellenbörsen.
Im übrigen ist es normal, wenn Firmen einige Monate brauchen, um einen passenden Ingenieur zu finden.
Da helfen auch nicht die tollen Angebote der diversen Ingenieurdienstleister, zaubern können die auch nicht.
Hallo,
meiner Meinung nach ist der Fachkräftemangel nur gepusht. Wer einen Ing. benötigt und das Potential in einem passenden Bewerber sieht, dann sollte es mit einer Stelle auch klappen. Die Frage ist eben nur: wie weit sind die Unternehmen gewillt in die Einarbeitung neuer Mitarbeiter zu investeieren?!?!?! Natürlich gibt es einen Mangel an Fachkräften wenn ich einen Bewerber suche der 5 Jahe Berufserfahrung in einem gewissen Fachbereich vorweisen kann, arbeitslos ist und mit einem Einstiegsgehalt zu frieden ist!! Aber wenn ich diesen Bewerber nicht finde muss ich ihn mir ausbilden. Gutes Beispiel aktuell in “meiner” Firma: neuen Mitarbeiter eingestellt, aber bevor dieser in ein Projekt beim Kunden “vermittelt” wird, geht er ein halbes Jahr lang in den Firmensitz zur Weiterbildung/Einarbeitung ins Thema. Wenn das mal bei den Unternehmen ankommt, sollte sich auch das Thema Fachkräftemangel erledigt haben!!
Von der AUDI AG stellte Ralph Börner das seit Jahren erfolgreich laufende Projekt ‘Demografischer Wandel’ vor. Beauftragt vom Vorstand des Unternehmens begann Audi schon 2005 mit der Ausarbeitung eines Konzeptes zum Umgang mit der veränderten Altersstruktur seiner Belegschaft und konnte dank dieser Weitsicht bereits 2009 mit der Umsetzung der aus der Projektphase abgeleiteten Einzelmaßnahmen in allen Geschäftsbereichen beginnen. Dadurch werden die Handlungsfelder Führung, Wissenstransfer, Personalentwicklung, Arbeitsgestaltung und Gesundheit so gestaltet, dass eine demografiefeste Entwicklung der AUDI AG sichergestellt wird. “Gerade das Pilotprojekt zum Einsatz erfahrener Mitarbeiter in der R8-Fertigung hat gezeigt, dass man die für Ältere notwendigen Belastungswechsel, ihre Erfahrung und ihr Qualitätsdenken im Fertigungsprozess bewusst integrieren kann”, bilanzierte der Projektleiter Ralph Börner.
Auch das ist eine Maßnahme um dem “drohenden Fachkräftemangel” entgegen zu wirken…. Was soll die Diskussion, wenn erfahrene Fachkräfte mit 55 Jahren keinen Arbeitsplatz mehr finden, bzw. diesen verlieren?!
Eine andere Sichtweise auf “Fachkräftemangel” kann man auch bekommen, wenn man das “Fachkraft” in den Mittelpunkt stellt. Durch ein Gespräch mit einem Hochschullehrer einer etablierten Fachhochschule konnte ich folgende Zahlen erfahren:
Anzahl Bewerber, welche für einen Ingenieurstudiengang zugelassen wurden: ~1500
Anteil zugelassener Bewerber, welche 4 oder 5 als Mathenote auf dem Zeugnis hatten: 113!
Das sind über 7% der zugelassenen Studenten, welche völlig unzureichende Mathekenntnisse aus der Schule mitbringen. Wie soll man auf dieser Grundlage eine Ingenieurausbildung starten?
Da geht es natürlich erstmal stundenlang mit Binomischen Formeln und quadratischen Gleichungen los. Traurig.
Also das sich die großen OEM´s keine Sorgen um Nachwuchs machen müssen, sollte jedem klar sein. Ein großer Teil der Neueinstellungen (studierte) bei z.B. Audi sind ja eh schon Leute die vorher übern Dienstleister “in der Audi” waren. Den wirklichen Fachkräftemangel werden hauptsachlich kleine und mittelständische Unternehmen erfahren, da sie die Gehälter der Großen nicht zahlen können und genau diese Firmen müssen ihren Nachwuchs durch BA-Studien, Kooperationen mit Hochschulen,……….rekrutieren oder wie oben schon geschrieben einen potentiellen Ingenieur durch Weiterbildungen schulen.
… ich denke dass mittlerweile wohl jeder erkannt hat, dass es schon bereits heute in bestimmten Branchen einen deutlichen Mangel an bestimmten Fach- und Führungskräften gibt. Dieses Phänomen wird sich zukünftigt noch weiter verstärken und zu deutlichen Problemen in der mittelständischen Wirtschaft führen!