Einige Menschen wissen noch nicht mal wofür sie einen Tempomat brauchen, da hat die Automobilindustrie schon die adaptive Version davon entwickelt. Vertrieben werden diese unter vielen Marketingnamen, wie beispielsweise Adaptive Cruise Control (kurz: ACC, von Bosch) oder Distronic Plus (von Daimler). Letztere konnte ich mir im Rahmen einer Promotionveranstaltung mal etwas genauer ansehen.
Das ACC oder DistronicPlus hat die Aufgabe einem vorausfahrenden Fahrzeug mit konstantem Sicherheitsabstand zu folgen und, sollte es von der eigenen Spur verschwinden, auf die gewünschte Tempomatgeschwindigkeit zu beschleunigen, bis wieder ein Hindernis in der eigenen Spur auftaucht.
Die neue A-Klasse von Mercedes-Benz hat serienmäßig den Collision Prevention Assist (Warnung bei drohendem Auffahrunfall und Vorbereitung des Fahrzeugs auf die kommende Vollbremsung) an Board. Dieser wird bei Daimler mit einem Radar Sensor gefüttert. Als optionales Paket kann man sich die Distronic Plus, also die automatische Abstandsregulierung dazu ordern.
Doch wie funktioniert das und wo liegen die Probleme?
Sensor der adaptiven Geschwindigkeitsregelung: Radar
Auch im Mercedes Benz kommt, wie bei fast allen ACC-Systemen, ein 77GHz Long-Range Radar zum Einsatz.
In diesem wird mit Hilfe eines Oszillators eine elektromagnetische Welle im Radarfrequenzbereich (Wellenlänge ca. 4mm) erzeugt und von Patchantennen, welche hinter einer Kunststofflinse sitzen, emittiert. Diese empfangen auch die Reflexionen der Wellen, welche von Fahrzeugen (allgemein: Objekten) zurück geworfen werden.
Bestimmung von Abstand und Geschwindigkeit
Das Messprinzip ist jetzt nicht ganz so leicht, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Vorteil der Radartechnologie ist nämlich, dass nicht nur die Entfernung gemessen werden kann, sondern in erster Linie die Geschwindigkeit von anderen Fahrzeugen als direkte Messgröße zur Verfügung steht (der “Blitzer” lässt grüßen). Das hat für die spätere Betrachtung zu Objekten und Zustandsschätzung (Kalman-Filter) enorme Bedeutung.
Abstand
Der Trick zur Entfernungsmessung ist nämlich, dass die emittierte Frequenz nicht konstant ist, sondern zeitlich in Dreieckform variiert wird (Frequenzmoduliertes Dauerstrichradar). Sie steigt beispielhaft in 100ms um 300MHz an und wird dann wieder auf die ursprüngliche Frequenz reduziert.
Läuft beispielhaft eine 76,15GHz Radarwelle zum Zeitpunkt 50ms los und wird 30ms später (grüner Pfeil im Bild rechts) wieder als Reflexion vom Radar mit 76,15GHz empfangen, so ermittelt die Radar-Elektronik eine Frequenzdifferenz. Der Vergleich zwischen der aktuellen im Radar erzeugten und der vom Objekt zurückgeworfenen Welle gibt Rückschluss auf die Entfernung. Die Frequenzdifferenz ist also ein direktes Maß für den Abstand (z.B. 2kHz pro Meter). Dies allein reicht aber noch nicht aus, denn Fahrzeuge bewegen sich. Daher muss ein zweiter Effekt in die Rechnung einbezogen werden.
Geschwindigkeit
Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Radar geht auf den Doppler-Effekt zurück, welcher besagt, dass ein sich entfernendes Objekt die reflektierte Frequenz reduziert, ein entgegenkommendes Objekt die Frequenz aber erhöht (Vergleich mit Krankenwagen, der an einem vorbei fährt). Im Bild unten wird die emittierte Frequenz reduziert empfangen (hellblau), das Objekt bewegt sich also weg vom Radar.
Durch die Wahl einer Dreiecksflanke (also steigende und fallende Frequenzen) kann man jetzt nach einem Zyklus (in diesem Fall 200ms) die Entfernung als auch die Geschwindigkeit eines Objekts bestimmen. Denn der Doppler-Effekt verändert sowohl an der steigenden, als auch an der fallenden Flanke die empfangene Frequenz um den gleichen Betrag, z.B. 512Hz pro m/s Differenzgeschwindigkeit.
Die Auswertung der Fequenzen erfolgt im Frequenzbereich, nicht im Zeitbereich. Die beiden Differenzfrequenzen ergeben nach ein paar mathematischen Zügen in Addition nun den Abstand, in Subtraktion die Relativgeschwindigkeit eines Objekts.
Ermittlung von Objekten aus Messwerten
Die Radarsensoren führen die oben genannte Messung sehr schnell und vor allem auch in mehrere Richtungen (durch Versatz mehrerer Antennen) aus, sodass neben Geschwindigkeit und Entfernung auch ungefähr eine Richtung zum Objekt gemessen werden kann. All diese Informationen werden in komplizierten Algorithmen verarbeitet. Die Messungen ergeben ja nicht solch schöne Darstellungen, wie sie hier beispielhaft gezeigt sind. Radfahrer, Schilder, Fußgänger, Fahrzeuge, LKWen, Bordsteinkanten, Randbebauung usw. wirft Radarechos zurück, welche von der Elektronik auf Plausibilität geprüft werden müssen. Weiterführende Informationen sind z.B. hier zu finden.
Um Geisterobjekte auszuschließen, werden verschiedene Rampen für die ausgesendete Frequenz verwendet (Bild rechts). Die Schnittpunkte im “Geschwindigkeits-Abstands-Diagramm” ergeben dann die eindeutigen Objekte.
Objektliste, Kursprädiktion und Objektattribute
Weiterhin führt das ACC Steuergerät eine Kursprädiktion (also Vorhersage zum wahrscheinlich gewünschten Fahrerverhalten) durch, womit es schätzt, welche Kurve und welche Spur der Fahrer wahrscheinlich nehmen wird, wenn alles so bleibt wie es ist. Die Messungen des Radarsensors ergeben dann eine Objektliste mit allen möglichen Fahrzeugen und Hindernissen im “Sichtbereich”, welche mit Attributen (fahrend, stehend, anhaltend usw.) versehen werden. Das ACC oder DistronicPlus hat die Aufgabe einem vorausfahrenden Fahrzeug mit konstantem Sicherheitsabstand zu folgen und, sollte es von der eigenen Spur verschwinden, auf die gewünschte Tempomatgeschwindigkeit zu beschleunigen, bis wieder ein Hindernis in der eigenen Spur auftaucht. Die Endauswahl des Zielobjekt (also welchem zu folgen ist), geschieht nachfolgend:
- Vorhersage des eigenen Fahrkurses
- Bestimmung des Kursversatzes
- Spur-Zuordnung (eigene Spur oder Nebenspur?)
- Plausibilisierung der relevanten Objekte
- Auswahl des Zielobjekts
Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968
Jeder Führer muss dauernd sein Fahrzeug beherrschen oder seine Tiere führen können.
Auch heute ist das Wiener Übereinkommen von 1968 noch maßgebend, wenn es um die modernen Assistenzsysteme geht. Denn die Frage die sich in Zukunft stellt: Wer ist schuld, wenn ein Fahrzeug mit Assistenzsystem einen Auffahrunfall verursacht? Der Fahrzeugführer, der Fahrzeughersteller, der Funktionsentwickler, der Zulieferer für den Sensor, etc? Und damit bei den Fahrzeugherstellern nicht bald mehr Juristen angestellt sind als Fahrzeugingenieure, bleibt die Verantwortung beim Fahrer. Das heißt im Umkehrschluss, dass es sich bei Unsicherheit lieber deaktiviert als einen Fehler zu machen. Oberste Regel.
Doch was hat das Wiener Übereinkommen jetzt mit der DistronicPlus zu tun?
Nun, es gibt eine Reihe ungeklärter Herausforderungen, welche ich natürlich provoziert habe, um die Theorie mit der Praxis zu überprüfen.
Besondere Problemsituationen
Nichtstationäre Verhältnisse wie z.B. Kurvenein- oder Ausfahrten sind ein Problem, denn die Kursprädiktion kann nur vorher sagen was passieren wird, wenn alles so bleibt wie es ist (also konstanter Lenkwinkel, Gierrate, Querbeschleunigung usw.)
Der eigene Spurwechsel ist ebenfalls problematisch. Zwar werden die Nachbarspuren ebenfalls mit gemessen und im Objektspeicher verfolgt, dennoch kann es zu Verwirrung kommen, wenn z.B. der Vordermann ebenfalls die Spur wechselt:
Auch in diesem Fall, wenn der Vordermann rechts ran fährt und plötzlich zwei potentielle Zielobjekte zur Verfolgung möglich sind, ist sich das System unsicher und deaktiviert sich vorsichtshalber:
Zu beachten auch im ersten Teil des Videos der Fußgänger, welcher die Fahrbahn queren möchte. Das DistronicPlus erkennt ihn selbstverständlich nicht! Verlässt man sich auf das Assistenzsystem (Stichwort: Risikokompensation), so ist der Personenschaden vorprogrammiert.
Fazit
Ich bin begeistert! Das liegt natürlich daran, dass ich Fahrzeugingenieur und stark begeisterungsfähig für Innovationen bin. Natürlich gibt es noch Herausforderungen zu meistern, das ist ja klar. Hauptsächlich funktionieren die Systeme aber und reduzieren die Unfallfolgen. Außerdem erleichtern sie die Fahrerei, erhöhen die Transportkapazität einer Straße und sind ein guter Schritt in Richtung autonome Fahrt. Dann aber mit Laserscanner, denn der Radar allein kann die Umwelt nicht fein genug auflösen, um eine sichere autonome Fahrt im Stadtgebiet zu gewährleisten.
6 Comments
Ist es dann ähnlich bei der S-Klasse? Dort gibt es auch mittig in y eine dunkle Plastikabdeckung die vom restlichen Kühlergrill optisch abweicht. Würde mich interessieren ob es dort auch mit dieser Technik gelöst wurde.