Da sind sie nun, die ersten telematikbasierten KFZ Versicherungstarife. Die Sparkassen Direktversicherung bietet als erste und somit mutigste Versicherung einen Tarif an, bei dem man bis zu 5% Einsparung erreichen kann, wenn man nur ordentlich fährt. Die große Frage ist: Was heißt “ordentlich”?
Black-Box beurteilt die Fahrweise
Wie die ganze Sache technisch realisiert ist, kann in der Presse nachgelesen werden, das möchte ich nicht noch mal wiederholen. Guter Artikel mit Grafiken: Verwanzt versichert auf heise.de. Gemessen werden:
- Position und Geschwindigkeit des Fahrzeugs über GPS
- Längsbeschleunigung über Beschleunigungssensoren
Zusätzlich befindet sich ein GSM Modul zur Datenübertragung sowie Mikro+Lautsprecher und Notrufsystem [Update: siehe Kommentar] in der Box.
In dem Artikel ist auch eine Darstellung, die den Bewertungsalgorithmus zeigt:
Ich bin weder in die Entwicklung noch sonst irgendwie involviert und ich möchte nicht ausschließen, dass das vereinfachte Darstellungen für Präsentationen oder Presse sind. Telefónica Insurance Telematics, die die Boxen und die Auswertung bereitstellen, beschäftigt mit Sicherheit auch keine unfähigen Leute.
Mir stellen sich allerdings bei der Sache folgende Fragen:
Höchstgeschwindigkeit
Wer ein Navi mit Geschwindigkeitswarnung im Fahrzeug nutzt, der kennt das Problem: Die Straße wurde ausgebaut oder die Verkehrssituation hat sich geändert, das Navi meckert aber trotzdem noch, weil man nicht die früher mal geltenden 70km/h fährt, sondern die 100km/h die jetzt möglich sind. Abhilfe schafft ein Kartenupdate.
Bei dem Dienst gehe ich davon aus, dass die Geschwindigkeitskontrolle erst auf dem Server von Telefónica Insurance Telematics erfolgt, die Kartendaten also möglichst up-to-date sind. Dennoch kann sich auch Telefonica nicht leisten täglich in ganz Deutschland umher zu fahren und neue Straßenabschnitte zu kontrollieren. Das Erkennen von veralteten Geschwindigkeitsvorschriften wird also immer ein paar Wochen/Monate dauern. In dieser Zeit fährt man also auf der Strecke immer zu schnell, versaut sich sein Gesamtscore also beispielsweise jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit.
Wenn die Daten auf den Servern vorliegen, ist es fraglich, wie viel Jahre es noch dauert, bis der erste Verkehrsminister auf die Idee kommt, diese gleich zur automatischen Zustellung von Bußgeldbescheiden zu nutzen.
Fahrweise aus Beschleunigung
Hier habe ich ganz große Augen bekommen! Mit 40% der größte Einflussfaktor auf die Bewertung und somit ein sehr wichtiger Beurteilungsfaktor. Sogar die Grenzwerte sind angegeben.
- maximal 0,25g (= 2.45m/s²) Beschleunigung
- maximal 0,30g (= 2.94m/s²) Verzögerung (bremsen)
Hier wird das Überschreiten sofort mit einem Negativscore belegt. Man denkt sich vielleicht: Ja klar, wenn ich ruhig fahre, vorausschauend und mit genügend Abstand, dann komme ich an diese Grenzwerte ohnehin nicht heran.
Doch Vorsicht! Autofahrer, die nicht in völlig flachem Gelände leben oder deren Garageneinfahrt (Tiefgarage etc.) etwas steiler ist, sollten achtsam sein: Wenn man 10% Steigung befährt, hat man schon gut die Hälfte des Grenzwertes allein wegen der Erdbeschleunigung aufgebraucht. Für das Anfahren am Berg ist dann auf jeden Fall ein Fahrzeug mit Wandlerautomat empfohlen, denn mit Kupplung wird das fast unmöglich werden! Auch beim Befahren einer Tiefgarage sollte man nicht zu sehr auf die Bremse treten.
Um ein Gefühl für die physikalischen Werte zu bekommen, habe ich mir ein paar Werte eines typischen Stadtfahrzeugs während einer Stadtfahrt angesehen. Ein normale Fahrt durch die Stadt mit einem VW Polo 1.4TDI mit sagenhaften 70PS erzeugt folgende Beschleunigungen.
Während dieser ca. 22-minütigen Fahrt wurde der Grenzwert allein 123x überschritten. Das gäbe wohl keinen Rabatt. Die ungefilterten Beschleunigungswerte sind offensichtlich kein guter Wert. Mit einer entsprechenden Filterung sehen die Werte dann schon etwas freundlicher aus, es ergibt sich keine Grenzwertüberschreitung für die Fahrt:
Je nachdem, wie man den Grad des Tiefpass-Filters wählt, kann man die Beschleunigungswerte beliebig flach drücken. Welche Parameter für die BlackBox von Telefónica Insurance Telematics gewählt wurden, bleibt natürlich deren Geheimnis.
Im Grunde kann man sagen, dass mit der Wahl des Filters ohne Probleme entschieden werden kann, wie oft ein Überschreiten der Grenzwerte erfolgt.
Weshalb Anfahren mit hoher Beschleunigung überhaupt ein Merkmal für “riskante Fahrt” sein soll, erschließt sich mir auch nicht. Ebenfalls kann die Box nicht unterscheiden, ob eine Gefahrenbremsung ausgeführt wurde oder ob sinnlos stark abgebremst wurde weil man in eine gefährliche Situation geraten ist.
Ein paar Einblicke in die Fahrdynamik-Datenanalyse gibt folgendes Video:
Fahrdynamik Datenanalyse mit Python Pandas from MechLab Engineering on Vimeo.
Datenschutz
Der wohl wichtigste Kritikpunkt an der Geschichte ist die Datensicherheit. Sind diese einmal erhoben, finden sich eine ganze Reihe von Interessenten dafür. In den schon lange verbreiteten Unfalldatenschreibern (UDS), welche man sich freiwillig einbauen kann, sind “Daten löschen” Buttons verbaut. Aus gutem Grund: Sollte man in einen Unfall verwickelt sein, so kann man Daten, die einen selbst belasten würde, mit einem Knopfdruck löschen. Bei der Versicherungslösung werden die Daten zum Anbieter (Telefonica Server) übertragen und sind dort immer für Staatsanwaltschaft und Co. vorrätig.
Weiterhin ist natürlich nicht auszuschließen, dass der Verkauf der Daten, wenn auch nur anonymisiert, ein Teil des Geschäftsmodells von Telefonica Insurance ist oder werden könnte.
Die SchuFa hat auch einst einfach angefangen irgendwelche Daten zu erheben und ist jetzt praktisch der Quasistandard für “Kreditwürdigkeit”, mit teilweise gravierenden Auswirkungen auf Einzelne.
Mehrwert
Für mich ein ganz klarer Mehrwert: Das eCall, also der automatische Notruf, im Falle eines Unfalls.
Für Eltern ergibt sich die Möglichkeit, ihren Kindern am Freitag/Samstag Abend das Auto zu überlassen und daran die Bedingung zu knüpfen, ordentlich zu fahren. Ganz klar, das sagen alle Eltern, aber mit der Lösung haben die Eltern nun die Möglichkeit am nächsten Morgen die erreichte Score abzurufen.
Damit hört der Spaß für die Kids auf.
Diskussion könnte es auch geben, denn es lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob eine absolut sinnvolle und nötige Notbremsung oder gefährliches Fahrverhalten die Bewertung veranlasst hat.
Fazit
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es enorm schwer ist, mit den von der BlackBox gemessenen Werten tatsächlich auf die “Sicherheit” der Fahrt zurückzurechnen. Es mag bestimmte statistische Anhaltspunkte geben, welche durch die Box erfasst (Nachtfahrt und Stadtfahrt z.B.) und herangezogen werden, aber diese sind nach der Scoreberechnung der Sparkassen DV nicht sehr relevant. Wichtiger scheinen die Beschleunigungswerte zu sein.
Doch hier habe ich große Zweifel, ob eine Identifizierung von “gefährlichen” oder “unsicheren” Situationen durch einen Beschleunigungssensor möglich ist. Eine Fahrt in den Alpen ist praktisch immer im Grenzbereich, denn bergauf-/bergab erzeugt die Erdbeschleunigung schon fast den Grenzwert.
Alles in allem steht für mich nur eines im Vordergrund: Möchte ich ein eCall, welches im Falle eines Unfalls automatisch um Hilfe ruft und auch noch bis zu 5% Rabatt ermöglicht, gegen die Gefahr tauschen, dass von meinem Fahrzeug Daten erhoben werden?
Wir können heute riesige Datenbestände mit dem Budget durchsuchen, das ein Student monatlich zur Verfügung hat. Früher mussten sie dafür Unsummen aufwenden. Und wir haben immer mehr Daten, nicht nur von Unternehmen, sondern auch von staatlicher Seite. Es wäre naiv und verantwortungslos zu sagen, das macht mir keine Sorgen. – Stephan Noller, Gründer von nugg.ad
4 Comments
Die Behauptung, dass sich in der Telematikbox ein Mikrofon und ein Lautsprecher befindet ist schlichtweg falsch. Dieser Punkt wurde auch schon in dem so hervorgehobenen “heise – Artikel” berichtigt. Eine kritische Auseinandersetzung mit einem neuem Thema ist immer gut und wünschenswert. Nur sollte eine kritische Auseinandersetzung auch immer “Hand in Hand” mit einer sorgfältigen Recherche gehen. Gerade wenn sie sich mit der genutzten Technik beschäftigt. Vielleicht hat es sich der Autor hier doch etwas zu einfach gemacht, in dem er an dieser Stelle einfach mal eine Behauptungen übernommen hat, welche gut in sein Konzept passt. Ich denke es geht besser. :o)
Hallo Herr Rücker, vielen Dank für die korrekte Anmerkung! Es war wirklich schwer technische Details zu der Box an sich heraus zu bekommen, sodass ich den heise Artikel, der ja von einem professionellen Journalisten geschrieben wurde, als Quelle genutzt habe. Dass die Fakten dann nicht stimmen ist ärgerlich, ich habe es korrigiert.
Haben Sie ein paar technische Details zu den verbauten Beschleunigungssensoren bzw. der Datenfilterung hinsichtlich des von mir angesprochenen Problems?
Besser geht immer, na klar!
Viele Grüße