Glaubt man Medien und Politik, so fahren wir in ein paar Jahren alle elektrisch. Ob das gut oder schlecht oder komfortabel oder aufregend wird, kommt auf die Fortschritte in der Entwicklung an. Es wird ja massiv subventioniert und gefördert, sodass sich der Markt auf jeden Fall bewegen wird. Eine interessante Verbindung zwischen Elektromobilität und den erneuerbaren Energien ist offensichtlich: “Grüner Strom” für die Fahrzeuge, damit es wirklich umweltfreundlich wird.
Doch es gibt noch eine andere Verbindung zwischen Elektromobilität und den erneuerbaren Energien, welche nicht so offensichtlich ist.
Stromnetz
Um den Sachverhalt zu erläutern, muss man sich erst mal mit dem Energieversorgungsnetz auseinander setzen. Oftmals hilft zum Verständnis, wenn man sich statt Strom einfach Wasser vorstellt. Ein Gartenschlauch ist voll mit Wasser, möchte man nun mehr Wasser dort rein füllen, weiß jeder, dass das nicht geht bzw. nur in sehr engen Grenzen funktioniert. Genau so ist das mit dem Stromnetz auch. Die Wassermenge ist die Last, genauer die vertikale Netzlast. Eingespeist wird der Strom im einfachsten Fall von einem Kohlekraftwerk, dessen Turbinenwelle sich genau so schnell dreht, dass bei entsprechender Polpaarzahl exakt 50Hz im Stromnetz ankommen. Die Regelgröße für die Qualität des Stromnetzes ist die Frequenz, welche von den Energieversorgern auf 50Hz gehalten werden muss.
Vertikale Netzlast
Das Stromnetz ist relativ starr. Auf der einen Seite (des Gartenschlauchs) wird Strom hinein gegeben, auf der anderen Seite wird er entnommen. Es gibt viele viele Entnahmestellen mit ganz verschiedenen Charakteristiken. Jeder Haushalt, Industrie, usw. “entnimmt” Strom, der Netzbetreiber muss sofort dafür sorgen, dass durch die Entnahme die Qualität der Versorgung gleich bleibt. Dabei verhält sich die Netzfrequenz und die Netzlast umgekehrt proportional. Ein plötzlich eingeschaltetes Schweißgerät, welches sehr viel Strom zieht, reduziert die Netzfrequenz, der Energieversorger muss das ausgleichen. Nun ist man ja nicht allein mit seinem Schweißgerät am Stromnetz, sodass beim Einschalten nicht gleich die Turbinenwelle im Kraftwerk knurrt, aber im großen Maßstab ist das nichts anderes.
Diese auf den ersten Blick chaotische Last ist gar nicht so zufällig, wie sie aus sieht. Führt man mit den Daten eine Frequenzspektrumanalyse (Fast Fourier Transformation) durch, so sieht man folgendes:
Auf den ersten Blick zu erkennen sind die dominanten Frequenzen für 12h (Vormittag/Nachmittag), 24h (Tagesrhythmus) und 168h (7 Tage-Rhythmus).
Was möchte ich damit sagen? Das, was ich hier als Laie abhandeln kann, können die Netzbetreiber in Perfektion! Die können genau vorher sagen, wann wie viel Strom vom Verbraucher verlangt wird und können daher das Netz ohne Probleme regeln. Die so genannten Lastverteiler koordinieren die Anforderungen an die Kraftwerke.
Netzregelung
Wie schon beschrieben, sinkt bei steigender Netzlast die Netzfrequenz ab. Die Netzbetreiber versuchen also die Netzfrequenz konstant auf 50Hz zu halten, egal welche Last jetzt nun an liegt. Dazu haben diese zum einen direkt im Kraftwerk einen Primärregler (z.B. den Kesseldruck) und einen Sekundärregler (z.B. Brennstoffmenge) und zum anderen Energiespeicher im Netz, welcher die erzeugte Energie zwischenspeichern können (z.B. Pumpspeicherwerk).
Dieses ganze Netz wird nun mathematisch beschrieben und optimal betrieben, sodass die Grundlast von relativ trägen Kraftwerken (z.B. Kern- & Kohlekraftwerken) gesichert ist, die Peaks dann durch Lastregelung oder Rückspeisung (z.B. aus Pumpspeicherwerken) gedeckt werden. Das System “Stromnetz” war bisher also auf der Entnahmeseite relativ dynamisch, konnte aber gut vorher gesagt werden und damit eine hohe Qualität gewährleistet werden. Selbst solche Aktionen wie die Earth-Hour, bei der dazu aufgerufen wird sämtliche Beleuchtung zu deaktivieren, kann das Netz ohne Probleme abfangen.
Erneuerbare Energien
Die Herausforderung der Energieversorger sind jetzt die erneuerbaren Energien. Diese dynamisieren jetzt zusätzlich auch noch den Eingang des “Systems Stromnetz”. Das zu optimierende Gleichungssystem wird nicht nur wesentlich größer, es wird auch nicht mehr vorhersehbar. Zwar können für Photovoltaikanlagen ebenfalls 12h- & 24h Rhythmen vorhergesagt werden, aber schon bei der Windenergie wird es nahezu unmöglich. Das Problem ist auch, dass die Zeitkonstanten für die Regelung eines herkömmlichen Kraftwerks, welches die Grundlast bereitstellen muss, vergleichsweise hoch sind. Die Kohlemenge steht in einem bestimmten Verhältnis zur thermischen Leistung des Kessels. Durch die Änderung der Kohlemenge produziert der Kessel im Anschluß mehr bzw. weniger Dampf. Dieser gelangt dann (nach ca. 5-8min) in die Turbine und die elektrische Leistung ändert sich. Änderungen (je nach Größe der Turbine) von ca. 20MW/min sind möglich.
Primärenergie | Öl, Gas | Kohle | Kernenergie |
mittlere Leistungsänderungs- geschwindigkeit in min |
8…12 | 4…8 | 5…10 |
Leistungsänderung in % | 40…100 | 40…100 | 50…100 |
Läuft ein Windpark mit mehreren MegaWatt Versorgungsleistung plötzlich in eine Windstille, so kann nicht augenblicklich ein Kernkraftwerk hochlaufen und diesen Verlust ausgleichen. Die Energieversorger haben auch noch das Problem, dass sich die herkömmlichen Kraftwerke selbst vom Netz trennen, sobald die Frequenz zu niedrig wird (das Netz zu stark belastet wird). Eine Kettenreaktion setzt ein, der Black-Out ist geschafft.
Dieser Worst-Case kann nur vermieden werden, wenn relativ schnelle Speicher am Netz hängen.
Netzstabilisierung
Eine Möglichkeit der Stabilisierung ist der Ausgleich über Pumpspeicherwerke, magnetische Energiespeicher oder eben über Akkumulatoren, welche am Netz hängen und geladen und entladen werden können.
Und spätestens jetzt sollte jedem klar sein, weshalb die Energieversorger so daran interessiert sind, dass es mit der Elektromobilität in ganz großen Schritten voran geht. Derzeit sieht die Zukunftsvision in den schönen Folien der Automobilhersteller so aus:
Doch Schlagworte wie Car-2-Grid, Car-2-Home, Vehicle-2-Grid, SmartGrid etc. heißen nichts anderes, als die Summe der Kapazitäten der Energiespeicher mit an das Netz zu bringen, um die Qualität zu sichern. Denn die Anschaffung von eigenen Speichern ist eine sehr kostspielige Angelegenheit und wird unter derzeitigen wirtschaftlichen Bedingungen eher als nicht rentabel angesehen (vgl. [Erdmann, Ehlers – Neue Ansätze für die marktorientierte Förderung Erneuerbarer Energien]). Da bietet es sich doch an, dass die Politik gerade die Forderung nach 1mio E-Fahrzeugen formuliert und subventioniert. Die Energieversorger stellen fleißig ihre Ladesäulen auf und hoffen, dass der Endverbraucher endlich auf den Zug auf springt und sich einen Netzpuffer vor die Tür stellt, welcher im Zweifel tagsüber ent- statt geladen wird.
Smart Grid
Die Forschungsprojekte bezüglich Smart Grid laufen derzeit auf Hochtouren. Es soll heraus gefunden werden, wie sich das alles regeln und optimieren lässt. Letztendlich soll auch der Endnutzer, nämlich der Fahrzeugbesitzer, nicht zum Feierabend zu seinem leer “geladenen” Auto kommen. Es gilt abzuwägen (rein hypthetische Fragen, ich bin selbst nicht an den Forschungen beteiligt, weiß also nicht was die Forschungsfragen sind):
- Wenn der Heimweg immer nur 20km ist, kann man dann das E-Auto nur zu 60% “betanken”, den Rest für die Netzstabilisierung nutzen?
- Kann man dem Kunden zumuten, dass 100% Ladestatus angezeigt wird, obwohl nur 80% drin sind, weil der Rest tagsüber in das Grid gegangen sind, statt in den Akku?
- Kann man es sich leisten bei Wind- und Sonnenarmut die Autos zu laden?
- usw.
Das ist alles nicht so leicht, deswegen heißt es ja auch Smart Grid. Ich bin gespannt.
[Update Januar 2014]: Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Rehtanz von der TU Dortmund zu genau dem Thema:
[Edit 17.07.12]: Elektromobilität aus der Sicht eines Energieversorgers – eOn
One Comment