Die Qual der Wahl, wenn man genug Geld und Willen hat sich ein neues Auto anzuschaffen. Die Frage: Was ist zu empfehlen?
Vorweg: Allradantrieb (fast) ist immer zu empfehlen!
Allerdings gibt es ein paar Dinge, über die man sich kurz Gedanken machen kann. In diesem Blogbeitrag soll nur die fahrdynamische Seite beleuchtet werden, nicht aber gesetzliche oder ökonomische Belange. Herrlich. Los gehts…
Entscheidend für die Beschleunigung eines PKW ist die Motorleistung. Diese muss allerdings irgendwie auf die Straße gebracht werden. Das geschieht über die angetriebenen Räder, welche durch gewissen Schlupf eine Längskraft auf die Straße übertragen können. Diese Längskraft beschleunigt das Fahrzeug.
Die Größe der übertragbaren Kraft ist unter anderem vom Reibbeiwert µ zwischen Fahrbahn und Reifen als auch von der Normalkraft welche den Reifen auf die Fahrbahn drückt, abhängig. Es soll beispielhaft wieder der VW Polo benutzt werden, welcher mit folgenden Daten zur Verfügung steht:
Der Reibungskoeffizient µ, welcher sich zwischen Reifen und Fahrbahn einstellt, spiegelt wider, wieviel Antriebskraft durch Gewichtskraft übertragen werden kann. Ein µ=1 heißt 100% der Gewichtskraft kann in Vortrieb umgewandelt werden. Auf trockener Fahrbahn stellt sich ein µ=1.1 ein. Dies ist durch die Verzahnungseffekt zwischen Gummi und rauer Betonfahrbahn zu erklären.
Dynamische Achslasten
Genauso wie beim Abbremsen, entsteht auch beim Beschleunigen ein Nickmoment. Dieses ist vor allem von der Schwerpunkthöhe, der Beschleunigung und der Fahrzeugmasse abhängig. Im Gegensatz zur Abbremsung wirkt es allerdings zusätzlich auf die hinteren Räder (Fh = Normalkraft an Hinterachse) und entlastet die vorderen (Fv = Normalkraft an Vorderachse).
Es ergibt sich folgender Zusammenhang:
Bei einer Beschleunigung von 0m/s² wirkt nur die statische Achslast. Das Fahrzeug hat deutlich mehr Gewicht auf der Vorderachse. Ab ca. 5m/s² sind durch die dynamischen Achslastanteile die Anteile nahezu ausgeglichen.
Beschleunigung mit verschiedenen Antriebsarten
Frontantrieb
Das Beschleunigungsvermögen eines Fahrzeugs mit Frontantrieb in der Ebene ist definiert mit:
Wird jetzt ein Reibkoeffizient von µ=1.1 angenommen und der Rollwiderstandskoeffizient mit fr=0.02, so ist die theoretisch mögliche maximale Beschleunigung des VW Polo mit Frontantrieb:
Mehr Beschleunigung ist theoretisch nicht möglich, da an sonsten die Vorderräder so stark entlastet werden, dass sie durchdrehen.
Heckantrieb
Zur besseren Vergleichbarkeit, soll der Polo nun bei gleicher Schwerpunktlage einen Heckantrieb erhalten.
Das Beschleunigungsvermögen eines Fahrzeugs mit Heckantrieb in der Ebene ist definiert mit:
Wieder mit fr=0.02 und µ=1.1 ergibt sich eine maximale Beschleunigung von
Man wundert, kaum höhere Beschleunigung zu erzielen, obwohl die dynamische Achslast zu Gunsten der Hinterräder wirkt. Erklärung später.
Allradantrieb
Wieder der Polo, diesmal mit Allradantrieb. Das Beschleunigungsvermögen eines Fahrzeugs mit Allradantrieb in der Ebene ins definiert mit:
Es ergibt sich mit fr=0.02 und µ=1.1 eine maximale Beschleunigung von
Aha, das ist ja mal eine Hausnummer. Beschleunigung von über einem g, mit einem VW Polo? Nunja, zumindest bis alle vier Reifen durchdrehen würden. Die Motorleistung muss natürlich auch vorhanden sein bis überhaupt alle 4 Reifen qualmen.
Abhängigkeit der Beschleunigung von Schwerpunktlage
Weshalb ist der VW Polo, selbst mit Heckantrieb, nicht wesentlich schneller unterwegs als mit Frontantrieb? Die Antwort ist simpel: Er wurde für Frontantrieb entwickelt. Könnte man den Schwerpunkt des Polo verschieben, so könnte man auch das Beschleunigungsvermögen variieren. Verändert man z.B. die Schwerpunkthöhe, so ergibt sich folgender Zusammenhang:
Es ist erkennbar, dass ein höherer Schwerpunkt günstig auf das Beschleunigungsvermögen mit Heckantrieb wirkt. Das liegt darin begründet, dass das Nickmoment, welches auf die Hinterachse wirkt mit
definiert ist. Höherer Schwerpunkt, mehr Nickmoment, höhere Anpresskraft.
Lässt man die Schwerpunkthöhe konstant und variiert die Lage des Schwerpunktes in horizontaler Fahrzeuglängsrichtung, so ergibt sich folgender Zusammenhang:
Der Polo hat ca. 39% der Fahrzeugmasse auf der Hinterachse. Als Vergleich wurde ein BMW 3er hinzugezogen, welcher ca. 54% der Fahrzeugmasse auf die Hinterachse wirken hat. Man kann erkennen, dass der BMW mit seinem Heckantriebskonzept klar dafür entwickelt wurde.
Allrad über alle Zweifel erhaben
Man kann die Berechnung auch anders herum anstellen, und fragen welcher Kraftschlussbeiwert zur Verfügung stehen muss, um eine gewisse Beschleunigung zu erreichen (Winter, Nässe, Eis etc..). Am Beispiel des VW Polo ergibt sich:
Quattro, 4Motion, X-Drive, 4matic – ihr seid die Besten!
Sportwagen
Am Beispiel eines Sportwagens erkennt man dann übrigens, weshalb die meißt Heckantrieb und Mittelmotor/Heckmotor haben.
Es ergibt sich folgender Zusammenhang:
6 Comments
Hey,
an meiner Stelle möchte ich dir mal ein Lob für diese geniale Zusammenfassung geben! Hier ist definitiv ein Lesezeichen gesetzt. :)
Den Bereich “Sportwagen” muss ich jedoch, komplett streichen, denn ein Sportwagen funktioniert auf einer einschlägigen Rennstrecke (die meist über Kurven verfügt :D) leider nur mit einer Kombination aus Quer- und Längsdynamik. Und genau da hat der Allrad sein Problem. Aber das weißt du sicher besser als ich. :)
Vielleicht magst du darüber auch noch mal was wissenschaftlich grundlegendes schreiben? Würde mich freuen!
VG!
Der Interessierte.
Auch von mir ein dickes Lob – weit besser als das, was man mit einer englischen Suche findet! Deutsche sind halt doch ein Ingenieursvoelkchen bzw. lieben Autos ;D
Danke fürs erläutern. Sehr anschaulich.
Bin über den Omegatau Podcast hier gelandet und habe beim Stöbern den Artikel entdeckt.
Vielen Dank für die wissenschaftliche Erläuterung!
Bezüglich Winter-Szenario muss man aber sagen, dass der Frontantrieb (abgesehen vom Allrad) deutliche Vorteile hat. Gerade hier kommt es auf die statische Haftreibung an. Dynamische Achslastverteilungen kommen beim Frontmotor/Hinterradantrieb überhaupt nicht bzw. kaum zum Tragen.
Der 3er bräuchte eher 65% auf der Hinterachse. Beim Touring ist die Problematik weniger gegeben.
Von mir auch großes Lob, bin über die Motorradschräglage hier gelandet. Wissen, welches bei der Verkehrserziehung zu kurz kommt. Manchmal geht es auch ohne großes Rechnen, einen Sack Zement gekauft und in den Kofferaum des DB190 gelegt und man fährt schon besser bei Schnee.